Als passionierte „Aktenzeichen XY ungelöst“-Zuschauerin habe ich natürlich vom Phantom von Heilbronn gehört. Ich gebe auch zu, dass ich (meine blühende Phantasie ist schuld) zu denen gehöre, die eine international agierende, äußerst umtriebige Kriminelle spannender gefunden hätten. Nunja. Mittlerweile ist bekannt, dass alle Spekulationen auf einer technischen Panne basieren. Spannend ist der Stoff allemal und wurde von Thomas Glavinic wunderbar verpackt in „Lisa“.
203 Seiten
9,90 € (Taschenbuch)
Unser namenloser Protagonist hat sich in einer abgelegenen Berghütte verschanzt. Um den Kontakt zu seiner Umwelt nicht ganz zu verlieren spricht er jeden Abend zu den (ungewissen) Zuhörern seines kleinen Internetradios. Und zu berichten hat er einiges. Aus einem einfachen Wohnungseinbruch entwickelt sich für den Protagonisten eine nervenaufreibende Zeit, wird er doch verfolgt von der wohl bekanntesten Verbrecherin Europas. Ihre Spuren wurden an unzähligen Tatorten in dutzenden Ländern entdeckt, darunter auch im Wohnzimmer unseres Protagonisten. Gemeinsam mit einem engagierten Polizisten war er dem Phantom (Deckname „Lisa“) auf der Spur, doch als der Polizist spurlos verschwindet wähnt sich unser Protagonist in tödlicher Gefahr und flieht.
Nun, in der Sicherheit der Berghütte, erzählt er seine unglaubliche Geschichte. Diese Geschichte ist dabei so verrückt und wirr, wie es auch der Erzählstil des Buches ist. Unser Protagonist berichtet die Geschichte (eigentlich) von Anfang an, macht aber auch immer wieder zeitliche und vor allem thematische Sprünge in seinen Berichten. Häufig zeigt ein „…“ dass wir, als Zuhörer des Internetradios, gerade wieder einen (kleinen oder doch größeren?) Abschnitt verpasst haben. Manchmal scheint nur ein Teil des Satzes verschwunden, manchmal behandelt der Sprecher nun ein ganz neues Thema. Wo er dabei am Anfang noch recht strukturiert vorgeht, wird zum Ende der Geschichte hin alles immer unzusammenhängender und verrückter.
Was aus dieser realen Grundstory hier gemacht wurde, hat mich wirklich fasziniert, einige der Verbrechen an denen tatsächlich „Lisas“ Spuren gefunden wurden, sind in die Handlung eingearbeitet. Aber auch ausgedachte (zum Teil wirklich bestialische) Verbrechen werden geschildert und man fragt sich ob der Protagonist die Trennung zwischen Realität und Fiktion noch erkennen kann, wirken seine Berichte doch zunehmend ausgeschmückt.
Als Leser kann man sich dem Sog, den „Lisa“ entwickelt kaum entziehen. Der Autor schafft so eine perfekte Kombination aus Verwirrung, Wahnsinn und Spannung, dass ich einfach dran bleiben musste. Ich habe das Buch förmlich aufgesogen. Für den ein oder anderen mögen die Schilderungen vermutlich zu heftig und zusammenhanglos sein, ich habe diesen „besonderen“ Ansatz wirklich genossen und fing selbst immer weiter an zu rätseln, welche Auflösung der Autor nun für unseren Protagonisten angedacht hatte. Leider findet sich darin auch mein größter Kritikpunkt. Ich sehe kein Problem in der Abkehr von der realen Geschichte des Phantoms von Heilbronn. Die Überraschung und Spannung ist natürlich größer, wenn der Leser das Ende noch nicht kennt. Leider fand ich die Auflösung nach all der authentisch wirkenden Spannung und den an sich recht realistisch gehaltenen Spekulationen leider recht unglaubwürdig und zusammenhangslos.
Unterm Strich sind das eindeutig 4 von 5 Leseratten und der feste Wunsch noch mehr von diesem Autor zu lesen, so schnell wie möglich. Sowohl die Psychologie des Protagonisten, als auch die gekonnte Spannung und die kreativen Ideen haben mich gepackt.
Das Buch in einem Tweet: Verrückt. Verrückter. „Lisa“. Ein Buch zwischen Thriller und Mystery, mit einem guten Schuss Wahnsinn. Nichts für schwache Nerven.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen